
Zukunft im Vergleich: Windkraft trifft auf Atomkraft – zwei gegensätzliche Wege der Energieerzeugung im Wandel der Zeit.
Neue Zahlen zum Zustand der Atomindustrie zeigen: Die Kernkraft ist teuer, unzuverlässig – und kein Allheilmittel. Gleichzeitig wird klar: Die Blockade von Fortschritt hat System. Seit über 100 Jahren.
Die globale Energiepolitik steht an einem Wendepunkt. Während sich Staaten bei Klimagipfeln zur Dekarbonisierung bekennen, zeigt der World Nuclear Industry Status Report 2023, dass ein Comeback der Atomenergie weder global breit getragen noch wirtschaftlich vernünftig erscheint. Und doch erleben wir ein beispielloses Ringen um die Deutungshoheit der Energiewende – unterstützt von mächtigen Playern mit fossilen Wurzeln.
Ein teures Versprechen: Die Realität der Kernkraft
Aktuell sind weltweit 407 Reaktoren am Netz – vier weniger als im Vorjahr und ganze 31 weniger als im Rekordjahr 2002. Und obwohl China weiterhin ambitionierte Neubaupläne verfolgt, ist die Lage vielerorts ernüchternd.
Beispiel Frankreich: Der Reaktorbau in Flamanville kommt seit Jahren nicht voran, die Kosten explodierten auf rund 13 Milliarden Euro. In Großbritannien steigen die Ausgaben für Hinkley Point C bereits auf 44 Milliarden Dollar, bei Fertigstellung frühestens 2027. Selbst in den USA lagen die Baukosten für zwei neue Reaktoren in Vogtle nach zehn Jahren Bauzeit bei 35 Milliarden Dollar – eine Investition, die heute kaum noch ein Unternehmen allein stemmen kann.
Auch sogenannte Small Modular Reactors (SMRs), einst als Gamechanger gepriesen, liefern bisher nur Kostensteigerungen von über 75 % – und das vor dem ersten Spatenstich.
Schuldenberge und politische Träumereien
Staaten mit atomarer Ambition zahlen teuer: Südkorea etwa schreibt Verluste in Höhe von 25 Milliarden Dollar, mit Gesamtschulden von 149 Milliarden Dollar im AKW-Sektor. Frankreich bringt es auf 70 Milliarden Dollar.
Trotzdem wird neu geplant – vor allem aus geopolitischen oder prestigegetriebenen Motiven. Polen, bislang ohne nukleare Erfahrung, orderte 6,7 GW Kernkraftleistung für 31,3 Milliarden Dollar bei einem US-Anbieter. In Brasilien steht ein Reaktorbau seit 1984 still – die Kosten stiegen auf 13,6 Milliarden Dollar, ohne realistisches Fertigstellungsdatum.
Und täglich grüßt das Lobby-Tier
Während Atomkraft auf der Stelle tritt, blüht eine ganz andere Industrie auf – die der gezielten Desinformation. Dabei ist die Geschichte erstaunlich konstant: Seit über einem Jahrhundert arbeitet die Ölindustrie mit Propaganda, Lobbyarbeit und gezielter Verhinderung von Fortschritt – ob es um Elektroautos, Biokraftstoffe oder erneuerbare Energien geht.
Bereits in den 1920er-Jahren blockierte Standard Oil die Verbreitung von Ethanol als Kraftstoff. In den USA wurden Straßenbahnen systematisch durch die sogenannte „Gasolinisierung“ verdrängt – unter Mitwirkung von General Motors, Firestone und Standard Oil.
Ab den 1970er-Jahren finanzierten Ölkonzerne wie Exxon gezielt Klimaforschung – hielten aber alarmierende Ergebnisse unter Verschluss. Stattdessen unterstützten sie Think-Tanks wie das Heartland Institute, die bis heute Zweifel am Klimawandel säen.
Selbst in der Gegenwart setzt sich das Muster fort: Mit Social-Media-Kampagnen, gekauften Studien und Lobbydruck wird versucht, E-Mobilität und erneuerbare Energien als ineffizient, teuer oder gefährlich zu brandmarken. Alles im Namen vermeintlicher „Freiheit“ – und in Wahrheit im Dienste fossiler Marktanteile.
Zwischen Fakten, Fiktion und Verantwortung
Der World Nuclear Report 2023 zeigt, wie mühsam, teuer und politisch aufgeladen der Weg der Kernenergie ist. Gleichzeitig offenbart die Geschichte der fossilen Industrie ein anderes Problem: Die systematische Verzerrung öffentlicher Debatten.
Der Kampf um die Zukunft der Energie ist nicht nur eine technologische, sondern eine kommunikative Herausforderung. Wer heute für Wind, Sonne und Speichersysteme eintritt, kämpft nicht nur gegen den Klimawandel – sondern gegen ein Jahrhundert fossil geprägter Narrative.
Weiterführende Quellen:
Quellenübersicht:
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Stand der Welt-Reaktoren: WNISR 2023 und „Reuters“ – 407 aktive Reaktoren, 31 unter Rekordniveau, mittlere Reaktoralter ca. 31,4 Jahre worldnuclearreport.org
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Ethanol-Kampagnen der Ölindustrie: American Petroleum Institute argumentierte gegen Ethanol mit beunruhigenden Auswirkungen durch Abwanderung von Steuern, destillierern – etc. Wikipedia.
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Straßenbahn-Kartellverfahren und Mythos: Verurteilung wegen Verschwörung im Verkauf, doch Historiker betonen strukturelle Faktoren für den Niedergang der Bahnsysteme Wikipediavox.com



